DeutschEnglish
###ANMELDUNGEN###

Press

DIE WELT 15.2.02 S.26

Haute Couture statt feuchter Hundeschnauze

Mit der BVG-Kollektion kann man sich passend dazu ankleiden:
Die Berliner U-Bahn wird heute 100 Jahre

Von Gabriela Walde

Wer will schon gerne aussehen wie ein lebender BVG-Sitzbezug? 0, Gott, o Gott! Eigentlich niemand. Nur Gisela Seppeler gehört zu dieser seltenen Spezies. Vor vielen, vielen Jahren saß sie in einem der BVG-Doppeldecker und kurvte durch die Straßen von Berlin. Die Sonne strahlte neben ihr auf den leeren Sitz und ließ das Orangerot des karierten Bezuges so schön leuchten wie den Purpurmantel von König Drosselbart. Die Frau sah rot. "Tolle Farbe. Ideal für ein Kostüm", dachte die studierte Juristin, die aus einer Erfinderfamilie stammt. Das ist lange her, als Berlin noch durch die graue Mauer getrennt und der lodernd rote Plüsch erstmals in Bahn und Bus gegen die Brikett-Tristesse dieser Stadt eingesetzt wurde. Fortan machte es wieder Spaß, auf der Linie 129 und 100 zu fahren.

Nicht eben modisch am Dernier Cri orientiert, konnte man in der Marketingabteilung der Berliner Untergrundler damals allerdings den Charme der BVG-Sitzmöbel nicht erkennen. Heute ist Berlin Hauptstadt und alles ein wenig besser. Man denke nur an die heiß begehrte "weiße Linie", eine schlüpfrige Schlüpferkollektion Marke "Rohrdamm" für die Herren, beziehungsweise "Gleisdreieck" für die Damen. Und an eine sehr glückliche Gisela Seppeler, die es nun nach 20 Jahren schaffte, der BVG 200 stolze Meter des nigelnagelneuen Stoffes abzutrotzen, um endlich ihre erste Kollektion passend zum 100. Geburtstag der U-Bahn auf den Markt zu bringen: Kostüme im Chanel-Stil mit goldenen Knöpfen, Reißverschlusskleider, ausgeflippte Bonbon-Kappen und Hüte, die aussehen wie der Turm zu Babel, aber auch klassische Baretts und Abendtaschen mit herrlich historischen Bügeln. Alles Sachen für den Winter, unverwüstlich sitzfest. Der Wollstoff ist zwei Millimeter dick, anfangs etwas steif und sperrig beim Tragen, wohl war. Elfentaillen lassen sich damit verschönern, Ele- fantenfiguren weniger. Das erste Modell musste eine alte Schneiderin aus Kreuzberg mit einer wuchtigen Ledermaschine zusammennähen. Kaum verwunderlich, denn dieses Material muss eine Menge profaner Dinge im rauen Berliner U-Bahn-Biotop aushalten, nicht nur feuchte Hundeschnauzen, sondern auch schäumende Bierdosen und tonnenschwere Türkenkoffer.

Es gibt Leute mit ungeheurer Fantasie, die wollen in dem flotten Teddyfell, das im Reich der pferdeliebenden Queen irgendwo in Mit telengland gefertigt wird, gar einen abstrahierten Stadtplan der Hauptstadt erkennen, für coole Trendsetter ist das Muster mehr noch eine freche Persiflage auf die edlen Karos von Burberry. Viel preiswerter sind sie allerdings nicht. 448 Euro kostet das Kostüm, das Kleid 300, der Pagodenhut 245. Der Renner sind die Filzlatschen im Opa-Look, für 25 Euro vor allem ein geschätztes Schnäppchen für Touristen. Und weil die 42-jährige Gisela Seppeler mit ihrer BVG-Haute Couture so ganz im Metropolentrend liegt, hat sie demnächst Verhandlungen .mit dem London Transport Museum. Im dortigen Shop gibt's längst jede Menge U-Bahn-Mode für Jugendliche. Und da die Briten bekanntlich ein Faible haben für mustergleiche Ausstattungen vom Sofa über Gardinen bis zur Tapete, sind sie ganz verrückt nach den Entwürfen Made in Berlin. Eine Herrenkollektion soll's werden aus dem tintenblauen Gestrick der ehrwürdigen London-Tube.

In Berlin lohnt auf jeden Fall die Investition für das rote Tarnensemble, spart man doch viele, viele Euro für ein BVG-Ticket. Eingefleischte Vrany-Trägerinnen (so taufte Seppeler ihr Label) schwören: Kontrolleure können Kleid und Sitz kaum auseinander halten und ziehen flugs vorüber. Andererseits steigt beim Tragen dieses Kleidungsstückes der eigene Popularitätsgrad, der Aha-Effekt ist garantiert. Die Bauarbeiter, so hört man, stehen hoch oben auf ihren Gerüsten und grinsen sehr dreist herab. Das Leben ist eine Baustelle und manchmal auch wunderbar rot. Ein nicht unwichtiger Vorteil für jede Kostümträgerin dürfte indes sein, dass man sofort den richtigen Berliner erkennt, die rufen sofort: "Det jibt's jar nich! Det Zeugs is aus'n Bussen!"

Derweil sollte die BVG überlegen, eigene Hostessen mit Seppeler-Trachten durch Bahn und Bus zu ' schicken. Denn selbst die in den Verkehrsbetrieben sonst stark dominierende Schicht jener Busfahrer, gegen deren Berliner Schnauze kein Kraut gewachsen scheint, mutiert urplötzlich zum Charmebolzen. Gut für die Fahrgäste. Nur Gisela Seppeler, die steigt mit ihrer Kreation nicht mehr in den Doppeldecker. Die BVG-Mode ist zu beziehen bei Rodan, Kurfürstendamm 29, im Eu ropacenter und bei Ritchie, Oranienstraße 174